Während Lissabon als die Stadt der Verwaltung und der schönen Künste gilt, gilt Porto schon seit ewigen Zeiten als die Stadt der Industrie und der Arbeiter. In vielen Stadtvierteln finden sich daher wenig große Repräsentativbauten, sondern die Wohnungen und Häuser der arbeitenden Bevölkerung.
Im Osten der Innenstadt, außerhalb der mittelalterlichen Stadtmauer und weit außerhalb der Touristenströme finden sich noch historische Arbeiterviertel aus dem 19. Jahrhundert, die noch nicht Neubauten zum Opfer gefallen sind und in denen immer noch die „kleinen Leute“ der Stadt wohnen, Arbeiter und Rentner mit einem relativ geringen Einkommen.
Im Stadtteil Fontaínhas, in der Nähe des Friedhofs Cimetério do Prado do Repouso aus dem vorherigen Post, verläuft die Rua do São Victor, auch bekannt als Rua das Ilhas – „Straße der Inseln“. Ilhas (die Inseln) sind eine Portuenser Besonderheit: kleine, enge Gassen links und rechts der Straße, entlang derer sich kleine Häuser befinden. Die Gassen sind meistens durch eine Tür von der Straße getrennt, oft als Durchgang in einem größeren Haus zur Straße. Die Häuser entlang dieser Gassen haben ein, selten zwei Stockwerke, sind insgesamt vielleicht 20 bis 30 Quadratmeter groß. Im Inneren befindet sich die gute Stube: das Wohnzimmer, im hinteren Bereich ein kleines Schlafzimmer, selten größer als das dort stehende Ehebett. Im Dachgeschoss findet sich ein Lagerraum. Küche und Bad sind nachträglich angebaut und befinden sich in kleinsten Seitenräumen, manchmal nur durch einen Vorhang voneinander und vom Wohnraum getrennt. Manche der Häuser haben sogar noch eine kleine Kochstelle außerhalb des Hauses anstelle einer eigenen Küche.
Diese Ilhas entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jarhunderts, um die wachsende Stadtbevölkerung, die durch die Industrie angelockt wurde, unterzubringen. Seitdem haben sie sich nicht viel verändert, private Toiletten und eigene Küchen kamen erst relativ spät dazu, Anfangs hatten diese Ilhas Gemeinschaftsbäder und Außenküchen. Viele der Ilhas sind hinter größeren Bürgerhäusern gelegen, sie sind die Hinterhofsiedlungen Portos.
Das Leben in diesen Ilhas findet viel auf den Gassen zwischen den Häusern statt, hier spielen die Kinder, ratschen die Alten und erholen sich die Erwachsenen von der Arbeit. Fernseher stehen in den Fenstern oder Radios beschallen die Gasse. Die Ilhas bilden eine Gemeinschaft, fast wie ein kleines Dorf innerhalb der großen Stadt. Das gesamte Leben wird durch die direkte Nähe zu den Nachbarn mit fast allen Bewohnern der Ilha geteilt, die Ilha zählt zur erweiterten Familie.
In den Häusern wohnen auch heute durchaus noch Familien, allerdings ziehen auch die Jüngeren in komfortablere Wohnungen in den Vororten, nur die Alten bleiben. Auch hier findet sich das gleiche Problem wie in vielen kleinen Häusern und Wohnungen in Altstädten, der Komfort einer neuen Wohnung ist doch angenehmer als die Wahrung der Tradition.
Als Tourist empfiehlt es sich, vor Betreten einer solchen Ilha eventuell anwesende Bewohner um Erlaubnis zu fragen. Meistens ist es kein Problem, es kann sogar vorkommen, dass man eingeladen wird, das Haus des oder der Gefragten zu besuchen, und dann sich ein interessantes Gespräch entwickelt. Eine ältere Dame hat mir ihre Ilha gezeigt und mich auch in ihr kleines Häuschen eingeladen. Sie wohnt dort seit über 70 Jahren, ihre Kinder sind mittlerweile in irgendeine Vorstadt gezogen. Für sie ist es aber noch das Zentrum ihrer Welt und sie würde für nichts in der Welt aus der Ilha fortziehen.
In der Rua Alexandre Herculano findet sich ein weiteres Arbeiterviertel, das um 1870 gebaut wurde und bessere Lebensbedingungen als die Ilhas bieten sollte, das Bairro Herculano. Der Eingang ist etwas versteckt, eine kleine Nebenstraße die zuerst zu einem Trafo-Gebäude der EDP führt und bis auf die vielleicht noch dort hängende Dekoration des letzten São João Festes wenig einladend wirkt. Ursprünglich befand sich an diesem Eingang und am zweiten Eingang an der Rua das Fontaínhas eiserne Tore, die den Eintritt zum Bairro abschließen konnten.
Das Bairro Herculano ist rechtwinkling angeordnet, kleine Gassen trennen 8 bis 10 Häusergruppen voneinander ab. Diese Häusergruppen bestehen aus meistens zweistöckigen kleinen Häusern, vor deren Fronten viele Blumenkübel und Kanarienvögeln in Käfigen zu finden sind. Vor dem ersten Stock hängt bei schönem Wetter die Wäsche zum Trocknen und bietet Mittags zusätzlichen Schatten. Auch hier sind die Wohnungen und Häuser sehr klein, allerdings gab es innerhalb dieser Siedlung zwei kleine Lebensmittelhändler, einen Gemeinschaftsgarten und eine kleine Kapelle. Händler und Garten sind mittlerweile verschwunden, von der Kapelle ist die Außenwand noch sichtbar, sie wurde in ein Haus integriert, das heute an der Stelle der Kapelle steht.
Direkt an der Kapelle und in einem zweiten Block sind noch die Gemeinschaftstoiletten und Gemeinschaftsbäder sichtbar, wenn auch mittlerweile verfallen und in desolatem Zustand. In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts und danach wurden die Häuser mit eigenen Toiletten und Bädern versehen, so das die Gemeinschaftseinrichtungen nicht mehr nötig waren. Insgesamt war dieses Viertel jedoch für eine Arbeitersiedlung des 19. Jahrhunderts recht fortschrittlich und bot bessere Lebensverhältnisse als damals für Arbeitersiedlungen üblich.
Sowohl die Rua das Ilhas als auch das Bairro Herculano zählen zu den Orten, an denen das jährliche São João Fest besonders intensiv gefeiert wird. Hier ist es noch ein richtiges Volksfest, und noch nicht in einem allgemeinen Party-Gewusel untergegangen.